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Internationale Braustile und Biere im Experten-Check

DLG-Qualitätsprüfung bestätigt hohes Niveau deutscher Braukunst

Das DLG-Testzentrum Lebensmittel prüft jedes Jahr in aufwendigen Verfahren Biere und Biermischgetränke und unterstützt Brauereien mit einem neutralen Expertenurteil dabei, die Qualität ihrer Produkte für die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Medaillen und Bundesehrenpreisen sichtbar zu machen. In diesem Jahr wurden 451 Gold-Medaillen und 55 Silber-Medaillen für Biere vergeben, die nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut werden. Ein Gespräch mit den DLG-Prüfbeauftragten Johannes Fuchs vom Forschungszentrum der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin (VLB) und Dr. Martin Zarnkow vom Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität (BLQ).

Herr Fuchs, Herr Zarnkow, anders als beim European Beer Star oder dem World Beer Cup, geht es bei der DLG-Qualitätsprüfung von Bieren nicht um eine rein sensorische Einschätzung, sondern um eine umfangreiche Bewertung der Qualität…

Johannes Fuchs: Grundsätzlich haben alle Prämierungen ihre Berechtigung, denn es handelt sich um wichtige Instrumente, um die Qualität und den Charakter der Biere zu kommunizieren. Bei Verkostungswettbewerben wie dem European Beer Star oder dem World Beer Cup geht es allerdings hauptsächlich um die Frage: Welches ist das beste beziehungsweise beliebteste Bier innerhalb einer Kategorie? Im Gegensatz dazu steht bei der DLG-Qualitätsprüfung eine ganz andere Frage im Zentrum, die durch wissenschaftlich fundierte und nachvollziehbare Kriterien beantwortet wird: Welche Qualität hat das Bier?

Dr. Martin Zarnkow: DieDLG-Qualitätsprüfung gilt deshalb zurecht als ein sehr anspruchsvoller Bier-Test. Nicht zuletzt auch, weil das neutrale Urteil der Experten der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin und des Forschungszentrums Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität die Haltbarkeit der Biere genauer betrachtet – schließlich müssen Braumeisterinnen und Braumeister ein Bier brauen, das auch noch in ein paar Wochen so gut schmeckt wie unmittelbar nach der Abfüllung. Und das ist eine Frage der Stabilität und ein Kriterium der DLG-Qualitätsprüfung, das Sie bei anderen Prämierungen nicht finden.

Fuchs: Das ist auch ein Grund, warum es keine Limitierungen bei den DLG-Prämierungen gibt. Denn wenn die teilnehmenden Biere eine sehr gute Qualität und Stabilität aufweisen, können wir diese mit Gold auszeichnen. Umgekehrt werden bei unterdurchschnittlicher Qualität keine Medaillen vergeben.

Ein relevanter Teil an Bieren und Biermixgetränken gelangt heute über weite Strecken zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern ...

Zarnkow: Der überregionale Konsum von Bier ist keine Ausnahme mehr. Trotz der hohen Dichte an Brauereien hierzulande hat jedes deutsches Bier durchschnittlich 210 Kilometer bis zum Supermarkt oder Getränkefachhandel zurückgelegt. Auf ihrem Weg dorthin sind die Biere Vibrationen, Temperaturschwankungen, Lichteinflüssen und dem Faktor Zeit ausgesetzt – und das hat zwangsläufig Einfluss auf die Stabilität der Produkte.

Wie läuft die Qualitätsprüfung im Detail ab?

Fuchs: Jede Brauerei muss die angemeldete Probe innerhalb von vier bis sechs Wochen zweimal einsenden. In der Bieranalyse kontrollieren wir die Stammwürze, die Stabilität des Schaums, die Farbe, den Trübungsgrad, den pH-Wert sowie den Kohlendioxid- und Ethanolgehalt des Bieres. Auch die nichtbiologische Haltbarkeit wird chemisch-technisch ermittelt. Jede Probe wird zudem mikrobiologisch beurteilt. In den abschließenden sensorischen Tests bewerten zehn Sachverständige, ob das Endprodukt in seinen Geruchs- und Geschmackseigenschaften typisch für die Biersorte ist. Die Qualitätszahl berechnet sich schlussendlich aus dem Zusammenspiel aller Prüfungen und verteilt sich auf die Ränge Bronze, Silber und Gold.


Womit Sie einen der wichtigsten Unterschiede zu anderen Bierwettbewerben ansprechen, die nur Einzelproben bewerten ...

Zarnkow: Erst die sensorische Bewertung und analytische Untersuchung von zwei Bierabfüllungen in Form einer A- und B-Probe ermöglicht Aussagen zur Aromastabilität. So erkennen wir zum einen, ob die Biere über diesen Zeitraum stabil sind und zum anderen, ob die Brauereien reproduzierbar arbeiten. Um Ihnen ein extremes Beispiel zu geben: Schmeckte die A-Probe noch in Richtung Weizen, die B-Probe aber mehr nach Altbier, dann ist in der Brauerei etwas falsch gelaufen. Mir ist kein anderer Test für Biere bekannt, der das Stabilitätskriterium derart streng überprüft – es gibt durchaus Brauereien, die sich da nicht in die Karten schauen lassen.


Wie hoch ist der Anteil der Biere, die die geforderten Kriterien nicht erreichen?

Fuchs: Die Quote der Produkte, die keine Prämierung erhalten, schwankt zwischen zehn und 20 Prozent. Die Gründe sind vielfältig. Die Geschmacksstabilität, die Schaumstabilität oder die nichtbiologische Haltbarkeit (Trübung) sind einige dieser Ablehnungsgründe.


Die deutsche Bierlandschaft ist sehr abwechslungsreich. Der Markt für Spezialitäten wächst seit Jahren und bietet Alternativen zum Bier großer Brauereien. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Fuchs: Die Tatsache das der Markt und die Vielfalt an Bierspezialitäten wächst, ist durchweg positiv zu bewerten. Sowohl traditionell alteingesessene Betriebe als auch neugegründete Brauereien, profitieren davon, dass ein gesteigertes Bewusstsein für das Brauhandwerk geschaffen wird. Es ist schön zu sehen, dass es sowohl kreative Neuschöpfungen gibt als auch das traditionelle, teilweise fast vergessene Bierstile wieder belegt werden.


Gibt es einen Bierstil, der am Markt dominiert?

Zarnkow: Das untergärige helle Lagerbier ist der Bierstil, der am erfolgreichsten auf nahezu allen Märkten ist. Egal, wo Sie auf dieser Welt sind und ein Bier bestellen: Sie bekommen ein helles, filtriertes, kühl getrunkenes, untergäriges Lagerbier. In Bayern eher das Helle, in Dortmund Export und in vielen anderen Regionen in Deutschland Pils oder Pilsener.


Hinzu kommt die Craft-Beer-Szene. Auch hierzulande scheinen die Craft-Brauer zuweilen experimentierfreudiger als die traditionellen Brauereien ...

Fuchs: Die Craft-Beer-Bewegung, obwohl der Begriff eine gewisse Streitbarkeit mit sich bringt, begann in den 1970er-Jahren in den USA. Hopfenaromatische obergärige Biere waren seinerzeit und sind bis heute die dominierenden Stile, allen voran das Pale Ale und das IPA. Diese Bewegung hat sich praktisch in alle Teile dieser Erde fortgesetzt, wobei es je nach Region unterschiedliche Braustile bevorzugt werden. Mittlerweile finden auch Sauerbiere oder hochprozentige malzaromatische Biere wie das Imperial Stout ihre Liebhaber und sind Teil der Vielfalt.

Zarnkow: Gerade die britischen obergärigen Ales, gerne auch mal "hopfengestopft" wie das IPA, können als die hauptsächlichen Biere dieser Kreativ-Szene angesehen werden. Was das Volumen betrifft, dürfte jedoch das Stout, wie von der irischen Insel, das erfolgreichste Bier sein.

Fuchs: Nicht nur global, auch hierzulande ist die Craftbeer-Szene je nach Region deutlich unterschiedlich ausgeprägt. Häufig kann sie in Regionen größere Marktanteile gewinnen, in denen wenige Brauereien den Markt dominieren und die Biervielfalt und Biertradition eher gering ausgeprägt ist oder war. Umgekehrt hat es die Bewegung in den Regionen schwer, die eine Vielzahl von Brauereien und Biertradition aufweist – wie es innerhalb von Deutschland beispielsweise in Franken der Fall ist. Betrachtet man allein das Volumen, kann ihr häufig nur ein kleiner Teil des Marktes zugeordnet werden. Nichtsdestotrotz ist sie ein wichtiger Bestandteil für die Bierlandschaft der Gegenwart.

Zarnkow: Viele sehen im Craft-Beer-Brewing einen kreativen Prozess, der eine Gegenbewegung zu den industriellen Bieren einleiten soll. Diese Biere gelten in der Craft-Beer-Szene als weniger mutig und langweilig, weil sie einer breiten Masse schmecken müssen. Kritikern, die diese Biere allerdings als "Industriebiere" abkanzeln, entgegen ich: Ein richtig gutes Helles zu produzieren, das immer gleich schmeckt und haltbar ist, zählt zu den größten Herausforderungen überhaupt. Braumeisterinnen und Braumeister, die diese Kunst beherrschen, können auch alles andere.


Worin unterscheidet sich ein India Pale Ale von einem konventionell gebrauten Bier?

Fuchs: Es gibt ganz klare Unterschiede. Bei dem IPA ist dies die Kalthopfung oder auch Dry Hopping. Hier werden speziell gezüchtete Aromahopfensorten zu einem späteren Zeitpunkt im Brauprozess zugegeben, um die leichtflüchtigen Aromastoffe des Hopfens, die beispielsweise an tropische Früchte oder florale Aromen erinnern können, nicht im Kochprozess zu verdampfen. Das Brauen ist eine Kunst und häufig machen die kleinen Details den Unterschied.


Welche Rolle spielt das deutsche Reinheitsgebot in diesem Zusammenhang? Sind Biere außerhalb des Reinheitsgebots eher als "Kreativ-Biere" zu bezeichnen?

Zarnkow: Nein, das würde ich nicht sagen. Wenn Sie ein Bier mit beispielsweise einer besonderen Farbe herstellen wollen, dann können Sie einen lebensmitteltauglichen Farbstoff nehmen. Oder aber, und das ist das Verblüffende, was uns das deutsche Reinheitsgebot lehrt: Sie setzen mit den vier Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe einen biochemischen Prozess in Gang, um die gewünschte Farbe zu erzielen. Viele Kritiker des Reinheitsgebots wären erstaunt, wenn Sie wüssten, was alles möglich ist!

Fuchs: Die Diskussion um das Reinheitsgebot wird seit Jahrzehnten emotional geführt. Und natürlich kann jede Reglementierung als Hemmschuh gesehen werden. Man sollte jedoch differenzierter hinschauen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Keineswegs ist es im Übrigen so, dass moderne Brauereien nicht nach dem Reinheitsgebot brauen und traditionelle Brauereien nur nach dem Reinheitsgebot brauen. In der Tat wird ein Großteil aller Biere – auch in den neugegründeten Brauereien – nach dem Reinheitsgebot gebraut.


Tradition und Innovation begünstigen sich also gegenseitig, wenn es um die Braukunst geht ...

Zarnkow: ... absolut, das Reinheitsgebot hat bewirkt, dass sich die Brauereien sehr intensiv und auf wissenschaftlichem Niveau mit den vier Zutaten auseinandersetzen – von der Anlagenseite bis hin zur Züchtung. Erst auf diese Weise ist das sehr hohe Niveau vieler Biere erreicht worden. Es entstehen außergewöhnliche Spezialitäten, die gerne getrunken werden. Das heißt aber nicht, dass es außerhalb des Reinheitsgebots keine guten Biere gibt – eine Vielfalt, auf die ich unter keinen Umständen verzichten wollte.

Fuchs: Die vielfältige und langjährige Biertradition, sowie die Authentizität der vielen Brauereien kommen hier klar zum Tragen. Deutsches Bier genießt seit jeher höchstes Ansehen innerhalb des internationalen Biermarkt.


Das Brauen von untergärigen Bieren in den heutigen Mengen, wäre ohne moderne Kühlung nicht möglich. Welche Rolle spielen die Anlagentechnik für die heutige Biervielfalt?

Zarnkow: Eine unglaublich wichtige. Wir haben diesen globalen Zugang zu dieser großen Auswahl an Bieren erst, seitdem es diese modernen Anlagen mit ihrer entsprechenden Mess-, Steuer- und Regeltechnik gibt. Und erst dank weitestgehend inerter Oberflächen und hygienischem Design, lassen sich die Anlagen auch wirklich vollumfänglich reinigen. Darüber hinaus sind die heutigen Verfahren in der Lage, sehr schonend zu produzieren. Wie die Brauereien müssen auch die Hersteller von Brauanlagen zunehmend auf die individuellen Wünsche neuer Zielgruppen reagieren, um sich beispielsweise mit kleinen, aber hochmodernen Sudhäusern neue Märkte zu erschließen. Darüber hinaus entwickelt sich alles konsequent weiter in Richtung Energieeffizienz und Nachhaltigkeit – zahlreiche Brauereien und Anlagenbauer sind hier federführend beteiligt.


Kurzum: Je besser die Anlagentechnik, umso reproduzierbarer lässt sich arbeiten?

Zarnkow: Ja, das gilt insbesondere für die größeren Brauer und Abfüller. Umgekehrt heißt das aber nicht, dass handwerklich produzierende Betriebe und Brau-Manufakturen, keine stabilen Biere und reproduzierbare Qualität hinbekommen – aber sie müssen sich dafür mehr anstrengen.


Ebenfalls ist zu beobachten, dass viele alte Bierstile eine Renaissance erfahren – getreu dem Motto: Nicht nach, sondern vor dem Reinheitsgebot ...

Zarnkow: Letztlich bilden die alten Bierstile die Basis der Vielfalt, die wir heute am Markt finden. Vieles von dem was als Trend daherkommt hat es schon einmal gegeben. Oder es steckt ein alter Bierstil dahinter. Es gibt Biere, die sich sehr eng an den alten Rezepten orientieren, etwa die Braunschweiger Mumme, das Lichtenhainer oder die Leipziger Gose. Hinzu kommt, dass viele der ursprünglich regionalen Biere inzwischen weltweit gebraut werden. Bestes Beispiel sind die Ale-Sorten, die heute nicht mehr allein auf Großbritannien und Belgien begrenzt sind.

Fuchs: Das alte Bierstile wie das Broyhan oder Grätzer wiederbelebt werden, empfinde ich als Bereicherung. Spannend ist, dass häufig nicht genau bekannt ist, wie die Originale seinerzeit geschmeckt haben. Jedes dieser Produkte muss bei der DLG-Qualitätsprüfung individuell betrachtet werden. Häufig haben diese Produkte jedoch gemein, dass ihre sensorischen Merkmale erklärt werden müssen. Auf dem Etikett sind dazu detaillierte Informationen zu finden. Ob diese Auslobung nachvollzogen werden kann, ist Teil der sensorischen Prüfung.

Zarnkow: Für viele dieser alten Bierstile gibt es keine Vergleichsmöglichkeiten. Deshalb benötigen wir die zusätzlichen Informationen, um das Bier objektiv in seiner Qualität beurteilen zu können. Anders als bei einem Hellen oder einem Pils, ist das bei diesen alten Sorten nicht von vornerein klar.


Was ist für Sie persönlich das Wichtigste an einem richtig guten Bier?

Zarnkow: Für mich fängt das Geschmackserlebnis mit der Temperatur an, welche zum Bier passen muss. Und die kann sehr unterschiedlich sein. Auch der Schaum ist entscheidend. Bier ist das einzige Getränk auf der Welt, welches von allein einen Schaum beim Einschenken ausbildet – das ist das Alleinstellungsmerkmal schlechthin. Bezüglich Aroma und Geschmack darf das Bier keinen Fehler haben. Und letztlich spielt das Genusspotential, die "drinkability" wie die Briten sagen, eine Rolle: Die Lust auf den zweiten Schluck.

Fuchs: Ein gutes Bier macht in erster Linie natürlich Lust auf mehr beziehungsweise ein Zweites. Aber darüber hinaus machen mir Biere Spaß, die mein Interesse wecken – durch die ausgelobten Rohstoffe, eine besondere Historie oder eine ausgeprägte Sensorik.